Lebt man wie ich in der Provinz, hat man es nicht leicht mit dem Angebot der Deutschen Bahn. Zu schlecht sind Kleinstädte an das Verkehrsnetz angebunden, die Sitzplätze sind unbequem, die Züge unpünktlich, der Fahrtpreis für die Leistung zu teuer, abends gibt es keine vernünftigen Verbindungen und wenn man Pech hat und der Zug voll ist, muss man die Fahrt im Stehen verbringen. Dies sind meine persönlichen Gedanken, wenn ich an eine Zugfahrt in Deutschland denke und deshalb nutze ich den Service der Deutschen Bahn auch so gut wie nie.
Nun muss man der Sache jedoch eine Chance geben und deshalb habe ich letztes Wochenende das Angebot der Deutschen Bahn, mit meinem persönlichen Bahn-Profi Christian, ausprobiert. Die Fahrt begann in Tuttlingen, der Weltstadt für Medizintechnik, gelegen in der tiefen südwestlichen Provinz der Republik, und führte mich ins Ruhrgebiet nach Dortmund. Bewusst legte ich die Fahrt so aus, dass es nur einen Umsteigepunkt gab und so sollte die Fahrt etwas länger als fünfeinhalb Stunden dauern. Hier die genauen Verbindungsdaten der Hin- und Rückfahrt:
Freitag, 21.11.2014
- 15:45 bis 17:42 Fahrt mit dem RE 19046 von Tuttlingen nach Stuttgart Hbf
- 17:51 bis 21:21 Fahrt mit dem ICE 514 von Stuttgart Hbf nach Dortmund Hbf
Sonntag, 23.11.2014
- 18:37 bis 22:08 Fahrt mit dem ICE 615 von Dortmund Hbf nach Stuttgart Hbf
- 22:25 bis 00:13 Fahrt mit dem RE 19051 von Stuttgart Hbf nach Tuttlingen
Fahrtpreis in der ersten Klasse: € 255,–
- Hin- und Rückfahrt mit BahnCard 25 (1. Klasse) inkl. Zugbindung zum Sonderpreis (ich nehme an Frühbucher): € 186,–
- Einsteiger BahnCard 25 (1. Klasse): € 39,–
Eindruck Regional Express (RE)
Die erste Klasse im Regional-Express ist ein großer Witz. Der einzige Mehrwert zur zweiten Klasse ist der Sitzabstand, in einigen Waggonvarianten kann man noch mit leicht breiteren Sitzen und nur drei Sitzen pro Reihe rechnen. Allerdings sind in diesem Fall erste Klasse und zweite Klasse ohne Trennwand in einem Waggon angeordnet. Insgesamt sind die Sitze sehr unbequem und als Ablagefläche steht nur ein Mini-Tischchen für vier Plätze unter dem Fenster zur Verfügung. Steckdosen gibt es keine und ein Arbeiten während der Fahrt ist auch nur sehr schwer zu realisieren. Die Gepäckablage kann nur ein Scherz sein, denn mehr als eine Aktentasche passt dort nicht hinein, selbst mit einem kleinen Tagesrucksack hat man seine Probleme. Da wundert es dann auch nicht, dass Fahrgäste zwei Sitzplätze nutzen, eines für sich, den anderen für das Gepäck. Eine Sitzplatzreservierung ist übrigens nicht möglich. In einem Regional-Express der Deutschen Bahn bekommt man wahrlich wenig für sein Geld, vor allem wenn man das Angebot nur ab und zu nutzt und keine Bahncard hat.
Eindruck InterCity Express (ICE)
Im ICE sieht es ganz anders aus, allerdings hat es die Deutsche Bahn in beiden Fällen geschafft, die Waggons so anzukoppeln, dass sie nicht mit dem Wagenstandanzeiger für Fernverkehrszüge übereingestimmt haben. Eine Durchsage zur umgekehrten Wagenreihung gab es ebenso wenig, wie eine aktualisierte Gleisanzeige. Sitzt man dann aber auf seinem reservierten Platz, kann man gemütlich entspannen, denn der Sitz ist bequem, es gibt ausreichend Beinfreiheit und das Gepäck passt in die Ablage. In beiden Fällen waren die Zugbegleiterinnen sehr nett und wir wurden gut versorgt. Auf der Hinreise verkosteten wir standesgemäß Whisky, zum Essen genehmigte ich mir ein Chili con Carne und, nachdem ich von einer Werbeansage des Bordbistro darauf aufmerksam gemacht wurde, eine Currywurst. Auf der Rückreise wollte ich es mir mit Weißbier und einem Film gemütlich machen, allerdings klappte dies nicht wirklich, denn während beider Zugfahrten war das versprochene kostenlose WLAN nicht funktionsfähig. Der Hotspot wird von der Telekom bereitgestellt, deren Hotline in beiden Fällen telefonisch nicht erreichbar war und über Twitter auch nur mit Standardphrasen daherkam. Schade eigentlich. Zum Arbeiten mit einem Notebook eignet sich der Klapptisch leider nur bedingt. Ausprobiert habe ich mehrere Sitzeinstellungen, eine bequeme Sitzposition konnte ich jedoch nicht finden. Das Wort ergonomisch möchte ich hier besser nicht in den Mund nehmen. Wirklich günstig ist das ICE-Angebot der Deutschen Bahn auch nicht, hier passt jedoch das Ambiente. Wie es in der zweiten Klasse aussieht, kann ich nicht beurteilen, mit dieser bin ich noch nie gefahren.
Pünktlichkeit
Auf der Hinfahrt waren beide Züge pünktlich, anders auf der Rückfahrt, hier hatte der ICE knapp 30 Minuten Verspätung, was dazu geführt hätte, dass wir unseren Anschlusszug, ein Regional-Express und die letzte Verbindung zu unserem Zielort an diesem Tag, nicht mehr erreicht hätten. Als wir eine neu zugestiegene Zugbegleiterin darauf aufmerksam machten, regierte diese erst einmal zickig, prüfte dann aber doch unser Anliegen und eilte fort um eine Lösung zu organisieren. Letztendlich wartete unser Regional-Express auf unseren Zug und wir kamen nach Hause. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte uns die Deutsche Bahn anscheinend eine Taxifahrt spendiert. Insgeheim habe ich mir das sogar gewünscht, denn die Fahrt mit einem Taxi wäre auf dieser Strecke schneller und bequemer gewesen.
Fazit
Würde ich in einer Stadt mit einer gut angebundenen ICE-Verbindung leben, würde ich das Angebot der Bahn sicherlich regelmäßiger nutzen. So allerdings mache ich das nur in absoluten Ausnahmefällen, denn in meinem persönlichen Fall ist eine Reise mit dem Flugzeug oder Auto meist schneller und billiger.
Blickt man in andere Länder, dann funktioniert dort das Bahnfahren oftmals ganz anders. Die Züge sind pünktlich, die Wagen bleiben dort stehen, wo sie sollen und der ganze Spaß ist meist komfortabler und günstiger. Und dabei sind wir Deutschen doch Weltmeister in Schirmmützentragen und lieben Perfektion und technisch genaue Umsetzung. Woran liegt es also, dass es bei der Deutschen Bahn so viele Defizite gibt?
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